Ein Saxophon beginnt, sich als Flöte tarnend, das Klavier verbirgt sich hinter einem körperlichen Wolken-Sound, das Cello unterstützt den Klang, ein energetischer Tumult, aus dem sich die einzelnen Stimmen lösen, zu voller Höhe und Tiefe aufschwingen, ihre Virtuosität erkennen lassen, wieder zu einmütiger Einheit kommen: Klangspielereien, Klangzaubereien. Das war erst Atomic Heart. Unter den 10.000 Blättern der neuen CD ist Shade Multiplication, eine Klang-Annäherei, die schlagend, blasend, klopfend drei Instrumente verschiedenster Klangerzeugung einander ähnlich werden lässt, bis sie in Verschiedenheit sich ergänzen. Der Sopransaxophonist Gianni Mimmo, die Komponistin und Pianistin und Stimmimprovisatorin Elisabeth Harnik und die Cellistin Clementine Gasser machen Musik zum Zuhören. Sie verlangen von uns, Spuren zu verfolgen, ihnen hörend nachzugehen, staunend klangliche Ergebnisse betrachten, Vorgaben und Ideen erkennen, gedankliche Strukturen – die sich in den Titeln widerspiegeln. Da ist Kitty Hawk, eine Stadt in North Carolina, der Titel für ein Stück, das reich an freiesten Strukturen endlich abhebt, wie dort die Gebrüder Wright abhoben.
In den 10.000 Blättern finden sich Ideen des Auseinandergehens und des Zusammenfindens aus der gemeinsamen Erfahrung großer musikalisch-kompositorischer Kraft der Einzelnen. Hier verliert sich nichts, auch nicht wir Zuhörenden – dem Hörpublikum wird Bewunderung in Distanz geboten. Hier gewinnt keiner, hier führt keiner, hier herrscht höchste Ausgewogenheit in höchster Komplexität. Es tut gut, der neuen CD zuzuhören, viel schwerer ists, sie zu beschreiben, und doch: nicht lange auszuhalten – aber das ist die Qualität. Bitte nicht durchhören, ein, zwei Nummern geben aus und klingen nach.
Es gibt nicht viel zu dieser CD zu lesen, kaum etwas zu sagen – dieses sei ergänzt. Clementine Gasser wurde in Luzern in der Schweiz geboren. Seit 1996 lebt und arbeitet sie in Wien. 1998 erfolgte die Gründung des eigenen Labels WKM/Wilde Kammermusik. Sie spielt auf einem Cello, für das auch Bach komponierte, ein 5-saitiges Instrument. Sie geht hoch hinauf, auch in die Alpenstraßen und weit hinein in die Improvisations-Szene. Arbeiten und Auftragskompositionen entstanden in Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief & Patti Smith, Karin Beier und Achim Benning. Kooperationen mit österreichischen Autoren wie Gerhard Jaschke, Gert Jonke und Robert Menasse fanden statt.
Elisabeth Harnik, ist als Vokal- und Instrumentalkomponistin wie als Improvisatorin eine fixe Größe. Sie studierte zunächst klassisches Klavier und Komposition bei Beat, sie ist solo und in Ensembles allüberall zu hören, unter anderem mit Alison Blunt, Annette Giesriegl und Josef Klammer.
Der Saxophonist und Komponist Gianni Mimmo arbeitet seit über 25 Jahren in unterschiedlichen Gruppen im Bereich Jazz und Experimentelle Musik. Seine Projekte untersuchen die Beziehung zwischen Musik-Text und Musik-Bild. Mimmo spielt mit MusikerInnen, TänzerInnen, VideokünstlerInnen und AutorInnen in Europa und darüber hinaus. Er betreibt das Indie Label Amirani Records.